EINFACH MAN SELBST BLEIBEN

Portraitaufnahmen Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller (F)

Anneliese Kitzmüller

Dritte Präsidentin des Nationalrates

Ihre politische Karriere begann Kitzmüller als Gemeinderätin in Kirchschlag bei Linz. Seit 2008 ist sie Abgeordnete im Hohen Haus, seit dem Vorjahr Dritte Präsidentin des Nationalrates. Die Schwerpunkte ihrer politischen Tätigkeit legt sie auf Familien- und Vertriebenenpolitik.

 

Wann erwachte Ihr Interesse an der Politik?
Für Politik hab ich mich schon in meiner Jugend interessiert. 1991 bin ich schließlich in meiner Heimatgemeinde Kirchschlag bei Linz Gemeinderätin geworden. Ich hatte das Bedürfnis, mich für die Menschen in meiner direkten Umgebung einzusetzen. Zugleich waren mir die familienpolitischen Themen ein großes Anliegen: die „große Politik“ vernachlässigt diese leider allzu oft.

 

Was macht die Faszination aus, politisch tätig zu sein?
Da ist die Zusammenarbeit und der Kontakt mit Menschen, da sind die Vielfalt der Tätigkeiten und der Abwechslungsreichtum der Themen, mit denen man Tag für Tag konfrontiert ist. Jeder Tag ist anders. Ein Großteil der parlamentarischen Arbeit, sowohl der Abgeordneten als auch der Präsidenten, findet nicht unter Wahrnehmung der Öffentlichkeit statt: Die Tätigkeit in den Ausschüssen, die Aussprachen mit den Bürgern, Diplomaten oder auch Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen. Hinzu kommen Treffen mit Parlamentariern aus den verschiedensten Ländern und Kulturen. Ich leite bereits seit mehreren Jahren die „parlamentarische Freundschaftsgruppe Polen“; der Austausch mit den polnischen Abgeordneten, die Treffen mit Diplomaten, Künstlern und Wissenschaftlern aus Polen empfinde ich als große Bereicherung. Selbstverständlich komme ich meinen Verpflichtungen im Wahlkreis nach. Ich denke, das macht meine aktuelle Situation auch so spannend: Am Vormittag bin ich beispielsweise noch in meiner Heimat Kirchschlag bei Linz mit kommunalpolitischen Fragen beschäftigt, am Abend werde ich in Wien mit Belangen der internationalen Politik konfrontiert.

 

Haben es Frauen in der Politik schwerer als Männer?
Das würde ich nicht sagen. Frauen werden nicht so deutlich wahrgenommen wie Männer, weil sie tendenziell ruhiger sind. Oftmals sind sie überlegter und äußern sich meistens nur, wenn sie das Gefühl haben, sich wirklich gut auszukennen, während Männer in dieser Hinsicht weniger scheu haben und sich öfter zu Wort melden. Ansonsten ist es wie in jedem anderen Metier, was zählt sind die Leistung und die Ergebnisse.

 

Ihr Rezept gegen Politikverdrossenheit?
Politikverdrossenheit kann ich bei meiner Arbeit als Dritte Präsidentin des Nationalrates kaum erkennen. Vor allem junge Menschen sind sehr an Politik interessiert, sie haben jedoch eine größere Distanz zur Parteipolitik. Die Bürger müssen stärker in das politische Geschehen eingebunden werden; wir müssen mehr direkte Demokratie wagen, was ja diese Regierung versucht umzusetzen. Politik darf nicht von oben herab stattfinden, es ist enorm wichtig, auf die Menschen zuzugehen und sich ihre Probleme, Sorgen und Wünsche anzuhören.

 

Was möchten Sie in Ihrer Funktion gerne verändern/verbessern?
Als Oppositionspolitiker kann man nur sehr schwer Änderungen erreichen, man kann aber darauf hinarbeiten, dass gesellschaftspolitische Entwicklungen in Gang gesetzt werden. Wichtig war und ist mir immer die Familienpolitik gewesen. Deshalb habe ich auch bei den Koalitionsverhandlungen dieses Kapitel mitverhandelt. Einige der Erleichterungen für Familien, wie etwa der Familienbonus plus und weitere steuerliche Entlastungen, sind nun schon umgesetzt worden,. In meiner Funktion als Nationalratspräsidentin gilt das Hauptaugenmerk jedoch dem parlamentarischen Betrieb und der Zusammenarbeit mit allen Abgeordneten.

 

Welche Eigenschaften sind nötig um in der Politik erfolgreich zu sein?
Geradlinigkeit, Ehrlichkeit, Handschlagqualität.

 

Ihr Tipp für Frauen, die sich politisch engagieren wollen?
Ich sehe da keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Einfach man selbst bleiben! Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass Politiker langfristig nur dann erfolgreich sind, wenn sie authentisch sind. Die Menschen durchschauen früher oder später, wenn man nur eine Rolle spielt. Natürlich besteht Politik auch aus Kompromissen, jedoch sollte man seinen Überzeugungen treu bleiben. Schlussendlich muss man vor sich selbst bestehen, sich noch jederzeit selbst in die Augen schauen können! (Interview aus Austrian Business Woman 7-8/2018 S. 46)

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